Anoxia (Sauerstoffentzug)

Behandlung mit modifizierter sauerstoffarmer Atmosphäre

Zur Behandlung von insektenbefallenen Objekten mit sauerstoffarmer Atmosphäre sind verschiedene Verfahren möglich:

  • Modifizierte sauerstoffarme Atmosphäre mit inerten Gasen (z.B. Stickstoff, Argon, Helium). Englisch: oxygen low atmospheres
  • Einsatz von Sauerstoffabsorbern. Englisch: oxygen scavengers
  • Behandlung mit Kohlendioxid (chem. CO2). Englisch: carbon dioxide

Sauerstoffarmen Atmosphären können das Wachstum von Pilzen und Bakterien zwar wirksam verringern (Valentin et al. 1990), aber sind nicht als Bekämpfungsmethode in der Praxis anerkannt oder als Biozid-Produkt in der EU zugelassen. Dies gilt auch für die Gruppe der Schimmelpilze.

Technische Ausstattung

Die grundlegende Ausstattung für jede Anwendung von sauerstoffarmer Atmosphäre ist, ein gasdichtes Volumen (Kammer, Zelt), eine Inertgasquelle (Flasche, Stickstoff-Generator), Meßgeräte für Sauerstoff, Temperatur und Luftfeuchte (Sensorik) und die Befeuchtung der Atmosphäre (Maekawa/Elert 2003).

Flaschenbündel mit Stickstoff in Druckbehältern (gasförmige Entnahme über Druckminderer und Schlauch)

Stickstoff-Generator zur Herstellung von Insitu-generierten Stickstoff (Bestandteile: PSA-Anlage, Puffertanks, Luftkompressor mit Kältetrockner)

Behandlung von Objekten vor Ort mittels Stickstoffgenerator und flexiblen Folienzelten

Alle Abbildungen: Stephan Biebl

Anoxia-Behandlung von Objekten vor Ort mittels Sauerstoffabsorbern und flexiblen Folienzelten

Alle Abbildungen: Stephan Biebl

Behandlung von beweglichen Objekten in stationären Kammern oder hermetischen Spezialzelten

Stationäre Stickstoffkammern

Einzelne Hersteller in Deutschland, Österreich, Italien, Niederlande oder Frankreich haben sich auf die Planung und Bau von Stickstoffkammern für Museen oder Sammlungen spezialisiert (Biebl 2016).

Das Kernstück jeder Stickstoffkammer ist die Sensorik, die entweder manuell oder vollautomatisch laufen kann und vom Personal leicht bedienbar sein muss. Während beim Temperatur- und Feuchtesensor noch eine gewisse Abweichungstoleranz vertretbar ist, sollte beim Sauerstoffsensor nur eine geringe Toleranz im unteren Messbereich von 1,0 bis 0,1% vorhanden sein.

Abweichende Ausstattungen können Türen in Form von Schiebe-, Falt- oder Anschlagtüren sein oder die kostengünstiger Variante mit einer dicht schließenden Platte mit Dichtung und Verschraubung.

Bei Dichtungen ist auf die Vermeidung von Lösemitteln zu achten, um das emittieren von Schadstoffen zu vermeiden, die unter Umständen auch Sauerstoffsensoren schädigen können.

Ein gasdichtes Fenster in der Türe erleichtert eine mögliche Kontrolle des Innenraums und kann als Einstiegs-Luke mit Notöffnung dienen. Weitere Bauteile für den notwendigen Druckausgleich sind eine Dampfausgleichslunge oder Überdruck- und Unterdrucksicherung, um bei der Spülphase mit Stickstoff den Überdruck innerhalb der Kammer zu regulieren. Um ein konstantes Klima für unterschiedliche Objekte oder bei ungleichmäßiger Materialfeuchte halten und regulieren zu können, kann eine Stickstoffkammer mit zusätzlicher Luftbe- und entfeuchtung sowie Temperierung  ausgestattet werden, die automatisiert über Computersteuerung läuft.

Eine Sauerstoffüberwachung in den Technikräumen dient zur Sicherheit für das Personal, wenn das Verhältnis Raumvolumen zum Sauerstoffgehalt ungünstig ist.

Anwendung mit Sauerstoffabsorbern

Bei kleineren Objekten oder einzelnen Ausstellungsstücken, wie z.B. Bücher, können physikalisch wirkende Sauerstofffänger (Absorber) zur Reduzierung des Luftsauerstoffs eingesetzt werden, wenn dies in einer gasdichten Hülle (z.B. Spezialfolie) erfolgt. Die Absorber wirken durch eine chemische Reaktion mit dem Luftsauerstoff und „zehren“ diesen bis zum Erreichen eines Minimalrestwertes von 0,1 Vol.-% auf. Während der Reaktion entsteht Wärme und Feuchtigkeit (siehe Hinweise und Beschreibung zu ZerO2 von Firma Long Life for Art). Sauerstoffabsorber bestehen hauptsächlich aus Eisenpulver, Salz, Aktivkohle sowie Kieselgur-Granulat und sind in unterschiedlichen Beuteln erhältlich.

Ausgelegte Sauerstoffabsorber (ZerO2) für Behandlung eines befallenen Exponates in Spezialfolie (Aluminiumverbund)

Abbildung: Stephan Biebl

Anwendungsparameter

Eine erfolgreiche Behandlung ist grundsätzlich von den Parametern Insektenart/Entwicklungsstadium, Temperatur, Luftfeuchte und Restsauerstoff (Vol.-%) abhängig. Gemäß dem Projektbericht DBU Az. 31865-45 vom Rathgen-Forschungslabor (2018) ist eine abgesicherte Wirksamkeit der anoxischen Behandlung gegen Schädlingsbefall an Museumsobjekten für alle untersuchten Arten über 21 Tage bei 0,5 % Restsauerstoffgehalt sowie mindestens 24 °C und bei 50 % rF gegeben. Weitere Informationen zu toleranten Arten, unterschiedliche Temperaturen und Restsauerstoffkonzentrationen siehe DBU-Abschlussbericht-AZ-31865.pdf

Informationen zum aktuellen Stand der Stickstoffzulassung als Biozid in der EU finden Sie unter Pressemitteilungen oder Stickstoff als Biozid.

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Literatur Sauerstoffabsorber

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Stephan Biebl

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